Ja, ich weiß, es ist so einfach und der Hund mag es so: man wirft einen Ball/Stöckchen/Apfel und er rennt wie ein Blitz hinterher. Bringt es zurück und aaaah! guck Mal, er legt es einem so schlau vor die Füße und wartet auf die nächste Schleuderpartie. Der Mensch freut sich, dass er einen vitalen Hund hat, freut sich auch darüber, dass er dem Hund so viel Bewegung gibt und wirft weiter. Der Mensch sagt: „Der hat da so viel Spaß dran“. „Der macht das, bis er nicht mehr kann“, oder : „den kann man noch nicht mal damit müde bekommen“. Et cetera.
Haben Sie schon mal einen Spaziergang mit einem solch einseitig interessierten Hund gemacht? Haben Sie solch einen Hund schon mal beobachtet? Konnte er etwas anderes machen, als das Stöckchen oder den Ball, zu holen, zu fixieren oder das Werfen davon ein zu fordern? Oder findet er sich sogar selber einen Stock und spielt damit verzweifelt herum, so dass der Stock womöglich knapp an Ihrem Gesicht vorbei schrammt? Die einzige Orientierung am Menschen geschieht nur in höchster Anspannung und in Erwartung des Stöckchens oder des Balls. Wenn der Spaziergang 60 Minuten dauert, bedeutet das auf diese Art und Weise 60 Minuten Anspannung für den Hund. Höchste Anspannung, von Körper, Geist (?) und Nervenkostüm.
Ich habe dazu einige Fragen:
- Was genau passiert, wenn Sie mal keine Lust haben, dieses Stöckchen zu werfen? Dreht er hoch, sucht er sich dennoch weitere Stöckchen? Oder kann er sich lösen und andere, ruhigere Sachen machen? Oder dreht er noch mehr auf und frustet?
- Bellt Ihr Hund viel?
- Haben Sie den Eindruck, Sie können ihn ansprechen, wenn Sie unterwegs sind?
- Wie reagiert er überhaupt auf Reize in der Landschaft?
- Kommt Ihr Hund zur Ruhe? Am Spaziergang, oder im Hause, vor allem nach dem Spaziergang?
- Wie ist sein Verhalten wenn Sie sich auf den Gassigang vorbereiten. Etwas übersprudelnd vielleicht?
- Wie ist die generelle Körperhaltung Ihres Hundes, wie fühlen sich die Muskeln an? Sind seine Bewegungen locker, ist sein Körper weich und geschmeidig?
- Oder sind die Bewegungen eher zackig und hektisch?
- Wie ist die Atmung während dem Endlosspiel?
- Fast vergessen: Sie wärmen die Muskeln Ihres Hundes doch auf, vor diesem intensiven und schnellen Stöckchensport?
- Mal ehrlich: Haben Sie echt das Gefühl, Ihr Hund hat dabei Spaß? Oder ist es etwas, was er einfach tun muss? Etwa wie wenn jemand immer wieder eine Münze in einen Automaten wirft und hofft nun kommt der große Gewinn?
Ich möchte gern folgende Bedenken mitteilen und mit einem Alternativvorschlag verbinden:
- Nehmen Sie bitte kein Stöckchen, niemals. Die Verletzungsgefahr beschränkt sich leider nicht auf das Skelett, sondern der Hund kann das Stöckchen in den Rachen bekommen… mit einer Wucht die dazu führt, dass der Rachen, der Gaumen oder gar der Hals perforiert wird. Es gibt so tolle Spielies: Kong, Ball, Plüschies in allen Formen und Größen, Dummybeutel…. Die birgen weitaus weniger Risiko.
- Die Bewegungsabläufe sind zackig, abrupt, und eher einseitig. Das führt schnell mal zu Verletzungen des Bewegungsapparates. Wärmen Sie die Muskeln Ihres Hundes auf, durch Kletteraktivitäten auf Baumstämme, Streckübungen hoch an Bäume, Suchaufgaben mit Hürden, Slalom durch die Beine, Männchen, Dehnen, isometrische Übungen…
- Das Reaktionsmuster beim Hetzen hinter einem Ball ist nicht unbedingt etwas überlegtes sondern es wird ein Hetzen aktiviert, und darin wird er immer geübter. Kombinieren Sie das Werfen des Balls doch mal mit einer Sitz und Bleib Übung, oder statt hinterher laufen lassen Sie den Hund das Spielie suchen.
- Sie üben die Geschwindigkeit der Reaktionen auf Reizen Ihres Hundes Tag für Tag … ungemein. Das nutzt ihn beim Sichten von anderen Reizen… er wird auch dort schneller reagieren und natürlich auch schneller laufen können. Machen Sie mal etwas im normalen Tempo… Kleine Übungen, die mit Ihnen zu tun haben: Körpertargetübungen, Baumtargets, Suchen und Schnüffeln im eigenen Tempo. Und beobachten Sie mal ganz genau, wie viel sich der Körper beim Suchen bewegt. Das ist nämlich eine Menge!
- Sie treiben den Hund ständig von sich weg, und er kommt dann zurück mit der Hoffnung, sie werfen das Objekt wieder weg. Ist das die Interaktion, die Sie sich für sich und Ihren Hund wünschen? Vielleicht werfen Sie das Spielzeug mal weg als Belohnung für einen gelungenen Abruf? Da fangen Sie 2 Fliegen mit einem Schlag.
- Sie schüren die Erwartungshaltung und treiben den Hund damit in die höchste Erregung. Er wendet sich zwar an Sie aber nur in der Erwartung, dass Sie das Objekt wieder schleudern. Schön wäre, wenn Sie Pausen einlegen könnten und dem Hund mit einem Pausensignal von dieser Erwartung befreien könnten.
- Das Spiel an sich ist sehr erregend und entsprechend ist der Zustand Ihres Hundes, während des Spiels aber auch danach. Schön wäre, wenn Sie Ihrem Hund nach dem Hetzspiel etwas Beruhigendes anbieten könnten. Vor allem würde ich nicht sofort nach dem Ballspiel den Hund ins Haus führen um dann sofortige Ruhe zu verlangen oder etwa zu erwarten, dass er von 100 auf 0 alleine bleiben kann. Also Cool Down Übungen und Gehirn aktivieren im letzten Drittel/Viertel des Spaziergangs.
- Einen ganzen Spaziergang lang würde ich das Hetzspiel auf gar keinen Fall anbieten, sondern Pausen einlegen. Der Hund sollte sich auch mal alleine beschäftigen können, in Ihrer Nähe trotten und schnüffeln, oder in Ihrem Auftrag etwas finden.. warum nicht den Ball mal verstecken? Oder zur Abwechslung ihm beibringen, dass er das Spielzeug oder den Ball mit der Pfote oder der Schnauze berührt, quasi als Target.
- Wenn Sie das nur an bestimmten Stellen machen, wird es sicherlich so sein, dass er kurz vor dieser Stelle hochdreht. Also wenn sie ein erregendes Spiel machen, bitte nicht endlos und immer an anderen Stellen, so dass er das aufputschende Spiel nicht immer mit dem gleichen Ort verknüpft.
- Vermeiden Sie einseitige Beschäftigungen. Hunde sind so vielseitig talentiert… die meisten Hunde glänzen in mehr als einer Disziplin. Fördern Sie das… und es wird Ihnen auch mehr Spaß machen.
Abschliessend möchte ich noch hinzu fügen: man spricht oft vom „Balljunkie“. Das ist weil ein Hetzspiel und Ballspiel reales Suchtpotential haben. Beim einen Hund entwickelt sich das schnell und senkrecht, bei anderen Hunden läuft das gemäßigter ab. Balljunkies: Das sind eben Hunde, die dieses Spiel irgendwann einfordern, zur Not lauthals und körperlich. Die völlig aufdrehen und schwer ansprechbar werden. Die viele Signale einer Übererregung zeigen. Für diese Hunde hat sich tatsächlich bereits eine Sucht entwickelt. Wenn Sie nun bei Lesen dieses Beitrages denken, dass Sie bei Ihrem Hund daran etwas verändern wollen, dann ist das eine gute Entscheidung, die aber eben mit Vorsicht und Umsicht um zu setzen ist. Nehmen Sie ihm von heute auf morgen nicht alles weg. Überlegen Sie sich, was Sie ihm gern anbieten möchten.
Lassen Sie sich am besten beraten, so dass es langsam reduziert werden und mit Alternativen abgewechselt werden kann. Wenn Ihnen das gelingt, werden Sie schnell merken, dass sich auch Einiges in anderen bereichen seines Verhaltens verändert. Ich würde es Ihnen und Ihrem Hund wünschen!
Video 1: „Nur Stöckchen im Kopf“
Video 2: eine Woche Später: für aufmerksames Verhalten belohnt
Video 3: „und locker vorbei am Stöckchenparadies“